Aus der Laudatio von Roland Gnaiger
„Lustenau im Vorarlberger Rheintal ist ein sonderbarer Ort, städtebaulich nicht zu definieren und kaum zu beschreiben. Weil Lustenau keine Vergleiche kennt. Mit nahezu 23.000 EinwohnerInnen ist Lustenau größer als manche österreichische Kleinstadt, aber weder als Stadt noch als Dorf zu identifizieren. Den Straßen fehlt grundsätzlich jene Logik, der man nur zu folgen braucht, um etwa zu einem Zentrum zu finden.
Historisch war der Ort eine Ansammlung von Landwirtschaften, weit verstreut zwischen Obstgärten. Die im 19. Jahrhundert boomende Textilindustrie, aus der Schweizer Nachbarschaft importiert, hat dieser Gemeinde zu einem beachtlichen Wohlstand verholfen. An einigen stattlichen Villen ist das noch erkennbar. Orte von der Größe und Struktur Lustenaus bringen regelmäßig auch die Jury des Baukulturgemeinde-Preises – der ja auf ländliche Verhältnisse fokussiert – an ihre Grenzen. Wie sind globale Dynamiken, die auch die Entwicklung von Lustenau bestimmen, zu bändigen? Welche Maßstäbe sind hier anzusetzen? Wohin kann die Entwicklung im besten Falle gehen?
Das Bewusstsein für Baukultur ist in Lustenau sehr früh gewachsen. 1986 wurde der erste Gestaltungsbeirat konstituiert – somit schon zwei Jahre nach dem ersten legendären Salzburger Gestaltungsbeirat. Also lange bevor große österreichische Städte diesem Beispiel folgten und sich dieses Modell auch in Vorarlberg etablierte.
Lustenau zeichnet alles aus, was wir als die tragenden Elemente von Baukultur definieren: Architekturwettbewerbe sind eine derartig selbstverständliche Praxis, dass sich auch Firmen und private Bauherren längst dieser Methode der Qualitätssicherung bedienen. Entsprechend hoch ist das architektonische Niveau vieler Bauten. Man könnte für Lustenau einen eigenen Architekturführer erstellen und würde eine Quantität an neuen, hochwertigen Bauten registrieren, wie sie etliche große österreichische Bezirke nicht vorzuweisen haben.
Politisch breit diskutierte Leitbildentwicklungen gehören wie Masterpläne, Strategieprozesse und Siedlungsanalysen zur Selbstverständlichkeit. Das gilt für die gewünschte Ortszentrumsentwicklung, für Ortsteile und das gesamte Ortsgebiet. Die sehr gezielte Attraktivierung und Unterstützung des öffentlichen Verkehrs erfuhr durch verschiedene Mobilitätspreise auch überregional Anerkennung.
Besonders erwähnenswert: die Neugestaltung des Naturbade- und Naherholungsgebiets Alter Rhein samt getrennter Trassenführung für Rad- und Fußwege. Auch für die zukunftsfähigen Energiemaßnahmen und -konzepte erhielt Lustenau internationale Auszeichnungen.
Mit dem Millennium Park verfügt Lustenau über ein Alleinstellungsmerkmal: Ein Gewerbegebiet, das einer Architekturexpo an Qualität in nichts nachsteht, gibt es in dieser Form wohl europaweit kein zweites Mal. Es beweist, dass auch Gewerbebauten einer übergeordneten Idee folgen können und sich Betriebe der Baukunst nicht verschließen müssen.
Als dem Breiten- und Spitzensport verpflichtete Gemeinde hat Lustenau viel in die Ausgestaltung seiner Sportanlagen investiert. Das Leichtathletikstadion ist tagsüber und abends für die gesamte Bevölkerung geöffnet und motiviert zu sportlicher Betätigung. Wie lautet der „Masterplan“ hinter all diesen Erfolgen? Antwort: Beteiligungskultur und die Qualität kommunaler Kommunikation. Manch ein Thema wird zu seiner Aufbereitung selbst baulich verortet: So entstehen temporäre Bauten, wie im Sommer 2014 das Feldhotel, das dem Diskurs anstehender Entwicklungen einen Ort und damit Bedeutung verleiht. Eher spielerisch, verbunden mit Gastlichkeit und Freizeitfeeling werden wesentliche soziale, raumplanerische und wirtschafspolitische Themen breit aufgemischt, abgesichert und tief bei den betroffenen BürgerInnen verankert.
All das gleicht einem groß angelegten Bildungsprogramm. Ein Beispiel sei das Habedere – ein Freizeitpark für Jugendliche von diesen selbst entwickelt, professionell architektonisch beraten und begleitet und in Folge von Jugendlichen selbstverwaltet. Oder das W*ORT: Ein Ort der Sprache – das persönliche Lieblingsprojekt von Bürgermeister Kurt Fischer, selbst ein studierter Philosoph.
Unterstützt und angeleitet erarbeiten, entwickeln und spielen hier junge Menschen (mit) Ihre(r) Ausdrucks- Gestaltungs- und Artikulationsfähigkeit. MigrantInnen sind ausdrücklich willkommen. Schon sehr früh hat Lustenau einen Ausländeranteil von nahezu einem Viertel seiner Bevölkerung (womit es manchen Wiener Bezirk übertrifft) vorbildlich integriert. Der/die mündige, sprachfähige BürgerIn wird in Lustenau nicht als Gefahr gesehen sondern als große Zukunftsressource. In diesem Sinne ist Lustenau ein soziales und gestalterisches Gesamtkunstwerk.“