News Endlich selbstbestimmt wohnen 4. Mai 2023

Die neue Wohnanlage im Stalden ist landesweit ein Vorzeigeprojekt für leistbares und inklusives Wohnen, denn in sechs der 36 Wohnungen können Menschen mit Beeinträchtigungen selbstbestimmt leben. Zu ihnen gehört auch Ayfer Seçilmiş, die wir in ihrem neuen Zuhause gemeinsam mit ihrem Begleiter, David Slana, getroffen haben.
01_IMG_2886 Bewohnerin Ayfer Seçilmiş und ihr Begleiter David Slana von der Lebenshilfe Vorarlberg sind ein gutes Team.

Seit März haben neben Ayfer Seçilmiş noch sechs weitere Menschen mit Beeinträchtigungen in fünf Einzimmerwohnungen und einer 2-Zimmerwohung ein neues Zuhause im Stalden gefunden. Die Marktgemeinde Lustenau legte mit dem Wohnbauprojekt für inklusives Wohnen den Grundstein, um für diese Menschen ein zentrales Umfeld zu schaffen, in dem sich soziale Beziehungen und eine selbstbestimmte Lebensweise entwickeln und stattfinden können. Begleitet und unterstützt werden die Bewohner:innen von engagierten Mitarbeiter:innen der Lebenshilfe Vorarlberg.

Vertrauensvolle Arbeit als Begleiter

IMG_2905 Ayfer ist stolz auf ihre eigene Wohnung.

David Slana arbeitet seit acht Jahren als Begleiter der Lebenshilfe. Dabei wollte der gebürtige Harder ursprünglich etwas ganz anderes machen. Auch nach seiner Lehrzeit als Maler war eigentlich klar, dass er handwerklich arbeiten wollte. Der Zivildienst, ausgerechnet bei der Lebenshilfe Vorarlberg, war nicht seine erste Wahl. Auch, weil er bis zu dieser Zeit keine Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderungen hatte. Aber dann hat er schnell gespürt, dass er Sozialarbeit nicht nur gut kann, sondern auch sehr gerne mag. Davids Weg zum Diplom-Sozialbetreuer war vorgezeichnet. Welche Voraussetzungen man für die Arbeit als Begleiter - so die offizielle Berufsbezeichnung - erfüllen muss, wollen wir von David wissen. „David können wir vertrauen und wir spüren, dass er gerne zu uns kommt“, sagt Ayfer. „Das freut mich“, lacht der sympathische 30-jährige nach diesem Kompliment. „Aber es ist auch wichtig, dass man als Begleiter anderen Menschen vertraut, eine offene und tolerante Haltung gegenüber allen Menschen bewahrt und vermeintliche Grenzen offenhält. Denn nach meiner Erfahrung ist viel mehr möglich, als man oft denkt. Es gibt natürlich Menschen, die unsere Kommunikationswege und Wahrnehmungen nicht teilen können. Aber auch bei diesen Personen erweitert sich die Fähigkeit zu reflektieren, um als Begleiter schwierige Situationen lösen zu können“, erklärt David.

Kein Tag wie ein anderer

Einen typischen Arbeitsalltag wie in anderen Berufen gibt es jedenfalls nicht. Jeder Tag wartet mit unterschiedlichen Aufgaben und Herausforderungen: „Der Frühdienst beginnt beispielsweise damit zu schauen, ob alle aufgestanden sind und sich für den Tag parat gemacht haben. Wir begleiten sehr individuell und an die jeweiligen Erfordernisse unserer Bewohner:innen angepasst. Auch, wenn das lediglich die Unterstützung beim Arztbesuch sein sollte“, erzählt David. „Mir hilfst du auch immer mit meinen Medikamenten“, ergänzt Ayfer, die auch gewählte Selbstvertreterin der Lebenshilfe Vorarlberg ist und sich damit für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen einsetzt.

Endlich eine eigene Wohnung

03_IMG_2925 Die Bushaltestelle gleich nebenan gefällt Ayfer besonders gut.

Ayfer Seçilmiş wurde vor 45 Jahren im Lustenauer Entbindungsheim geboren. Ihre Eltern stammen aus der Türkei und lange Zeit war Ayfer unsicher, ob sie bereit war, selbstbestimmt zu wohnen. „Ich habe zuerst Mama und Papa gefragt und Papa meinte, dass ich jetzt bereit bin, um alleine zu wohnen“, sagt sie mit strahlendem Gesichtsausdruck. Die Vorfreude auf ihr neues Zuhause war nach dreijähriger Wartezeit sehr groß: „Als das Haus gebaut wurde, bin ich ständig mit meiner Erwachsenenvertreterin Elisabeth schauen gegangen, ob es endlich fertig ist. Die erste Nacht alleine in der neuen Wohnung und in einer fremden Umgebung war dann doch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber heute ist Ayfer sehr glücklich darüber, in ihrer eigenen Wohnung leben zu können. „Ich konnte meine Wohnung selber und nach meinem Geschmack einrichten. Ich arbeite, kann meine Miete bezahlen und entscheiden, wer meine Wohnung betritt. Und ich kann jetzt auf meiner eigenen Terrasse mit meiner Freundin frühstücken“, erzählt Ayfer voller Stolz und Dankbarkeit. Was ihr an ihrem neuen Zuhause am besten gefällt, wollen wir wissen. „Dass Geschäfte und die Gemeinde so nahe sind, gefällt mir gut, aber die Bushaltestelle gleich neben dem Haus gefällt mir am besten“, antwortet sie spontan.

Aufbau sozialer Kontakte

02_IMG_2914 Im Gemeinschaftsraum wird auch gemeinsam gekocht.
Und wie sieht es mit Begegnungen mit der restlichen Nachbarschaft aus? „Ja, ich bin anderen Nachbarn schon begegnet und wir grüßen uns immer freundlich. Ich freue mich auf weitere Bekanntschaften“, sagt Ayfer. „Die gewohnten Strukturen aus dem Wohnhaus sind mit dieser Wohnform weggefallen. Umso wichtiger sind das gemeinsame Kochen und Zusammensein hier im Gemeinschaftsraum. Aber die Bewohner:innen müssen auch ihre eigenen Strukturen entdecken und entwickeln, um selbständig soziale Kontakte aufbauen zu können. Dabei unterstützen wir sehr aktiv und das ist unser großes Ziel“, erklärt David.
 
„Die Lebenshilfe Vorarlberg hat gemeinsam mit der VOGEWOSI und der Marktgemeinde Lustenau mit den inklusiven Wohnungen etwas Wichtiges geschaffen, damit Menschen mit Beeinträchtigungen selbstbestimmt leben können. Unser größtes Anliegen ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft und somit die Inklusion. Dafür suchen wir intensiv Mitarbeiter:innen“, sagt Michaela Wagner-Braito, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Vorarlberg. Erfordert der Job als Begleiter Teamwork? „Ja, Teamwork wird auch bei meiner Arbeit ganz großgeschrieben“, antwortet David. „Wir sind ja auch ein sehr gutes Team“, ergänzt Ayfer grinsend. „Ja, da hast du recht, wir beide sind auch ein gutes Team“, erwidert David lachend.