News Unser Ortsbild 5. März 2025

Wir alle haben etwas gemeinsam. Jedes Haus, in dem wir wohnen und arbeiten, ist Teil eines dreidimensionalen Mosaiks, ist Teil des Ortsbildes von Lustenau. Einst von großer Einheitlichkeit geprägt, wird unser Siedlungsraum zusehends heterogen, vielfältig. Umso mehr gilt es, mit Bedacht zu verändern, Ortstypisches zu pflegen, guten Bestand zu erhalten und Neues mit Altem in Dialog zu führen.

Lustenauer Melange – was einst geprägt war von einheitlichen Baustilen, ist heute ein Nebeneinander an baulichen Zeitzeugnissen unterschiedlicher Epochen. Warum und wie ein Ortsbildinventar zum Erhalt von Lustenau-spezifischen Bauten und zur aktiven Gestaltung etwas beitragen kann, erfahren Sie in einer Serie an Beiträgen, diesmal von Marina Hämmerle.
Vom Abriss …
Ein Stadt- oder Dorfkörper ist gewissermaßen ein lebender Organismus, seine Veränderung liegt in der Natur der Sache. Häuser altern wie jede Materie, doch manche sind so solide gebaut und gut instand gehalten, dass sie selbst Jahrhunderte überdauern, siehe Stadtzentrum Feldkirch. Anderen ist mit umfänglichem Erneuern und Ergänzen geholfen, damit sie mehreren Generationen als Wohn- und Arbeitsraum dienen. Die letzten Jahrzehnte zeigen jedoch, ein stetig wachsender Teil an Objekten wird abgerissen und ersetzt – selbst Häuser in gutem Zustand ereilt dieses Schicksal. Ähnlich ergeht es den Wiesen rundherum und dazwischen, auch sie verschwinden, werden abgetragen, ihre Bäume fallen. Von ihrer Existenz erzählen lediglich die Namen der Wohnanlagen, die nun ihren Platz besetzen.
… zur Devise
Nachdem die Bauwirtschaft global für 38 % des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, greift an Universitäten/Hochschulen und mittlerweile auch in Architektur- und Stadtplanungsbüros eine Trendwende in der Baukultur: Mehr Substanzerhalt, weniger Neubau, lautet die Devise. Das bringt auf lange Sicht wirtschaftliche, ökologische und soziale Vorteile. Denn Bauwerke sind nicht nur dann erhaltenswürdig, wenn sie unter Denkmalschutz stehen, sondern per se aufgrund der verbauten „grauen Energie“, des gesamten Material- und Energieaufwands, der zur Errichtung notwendig war. Hinzu kommt, dass bestehende Bauten sich oft in das kollektive Bewusstsein einschreiben, also wichtige Anker im Siedlungsraum sind und damit Orientierung ermöglichen. Wer kennt nicht den „Lustenauer Hof“, den „Pontenblock“ oder die Villen in der Kirchstraße? Sie alle sind Zeugnisse vergangener Epochen, sie erzählen uns von Kulturformen des Wohnens, Wirtschaftens und Arbeitens unserer Vorfahren. Abgesehen von ihrer ökologisch-sozialen Bilanz stärkt der Umbau von Bestandshäusern oder die Umnutzung von Gewerbeobjekten auch die Wirtschaft, etwa lokale klein- und mittelständische Unternehmen vor Ort; so geschehen in der Teilenstraße, wo vor rund zehn Jahren eine ehemalige Stickereifabrik nach längerem Leerstand in unkonventionelle Wohneinheiten mit Lustenau-spezifischem Flair verwandelt wurde, ohne dessen ursprüngliche betriebliche Bedeutung zu tilgen.

© Marina Hämmerle

© Marina Hämmerle
Dornröschenschlaf
Leerstand treibt inzwischen vielen Bürgermeister:innen in Vorarlberg die Sorgenfalten auf die Stirn: Einkaufszentren boomen, Gemeindezentren veröden. Auch in Lustenau fallen dem global vernetzten Wirtschaften viele traditionsreiche, familiengeführte Handelsbetriebe zum Opfer, der Klick am eigenen Smartphone erübrigt den Gang ins Geschäft um die Ecke … das macht im Ortsbild wenig Freude. Freude an der jeweiligen Erkundungstour durch eines von drei leer stehenden Häusern hatten jedoch die Kindergruppen dreier Workshops, durchgeführt auf Initiative von W*ORT, der Marktgemeinde Lustenau, dem Historischen Archiv und der Architektin Julia Kick. Anregendes Ergebnis dieser Übung ist ein gut gestaltetes Buch: Einerseits erprobten sich die Kinder literarisch an „Geisterhaus-Geschichten“, andererseits dokumentiert die Leerstandsbetrachtung 2016 der Architektin eindrückliche Zahlen und Fakten.
Ins Tun kommen
Die für Entscheidungsträger:innen in Bauaumt und Politik wertvollen Erhebungen mündeten im Serviceangebot „Ein guter Rat“ der Gemeinde. Hausbesitzer:innen können sich wertvolle Tipps und Anregungen zum Erhalt und Umbau ihrer Immobilie holen. Ergänzt wird das Angebot durch die Sanierungslotsen des Energieinstituts, die Interessierten neben Architekt:innen und Rechtsberater:innen in Sachen Energie und Baumaterialien zur Seite stehen. Gestärkt wird dieser kommunale Service von der vor kurzem auf europäischer Ebene gegründeten Initiative „HouseEurope!“. Mit einer Million Unterschriften will man neue Rahmenbedingungen für Europas Baukultur erzielen: Nein zu Spekulation und Demolierung, ja zu Renovierung und Transformation!
Das Ganze sehen
Einen weiteren Schritt in diese Richtung bedeutet die Erstellung eines Ortsbildinventars. Um sich einen besseren Überblick über erhaltenswerte Bausubstanz in Form von Einzelhäusern, Ensembles und Straßenzügen zu verschaffen, beauftragte die Marktgemeinde Lustenau für diese komplexe Aufgabe Geli Salzmann, Architektin und Raumplanerin, und Marina Hämmerle, Architektin und Publizistin. Beide sind seit vielen Jahren als Gestaltungsbeirätinnen in verschiedenen Kommunen und Ländern tätig und versiert in Dorf- und Stadtentwicklung. 2015/16 widmeten sie sich einer umfassenden Siedlungsanalyse Lustenaus. An dieser ausführlichen Betrachtung des Dorfgebiets knüpft ihre aktuelle Arbeit am Ortsbildinventar an. Wie dieses Inventar erarbeitet wird und welche Rückschlüsse sich daraus ziehen lassen, erfahren Sie in periodischen Beiträgen im Gemeindeblatt. Interessierten bietet sich am 25. April 2025 die Gelegenheit zu Einblick und Austausch mit den beiden Architektinnen bei der Veranstaltung „Om d’ Hüüsr“ – dem ersten Wahrnehmungsspaziergang entlang einer ausgewählten Route durchs Kirchdorf.