Veranstaltung +++VERSCHOBEN+++ DOCK 20 life: Deva Schubert und Francesca Ferrari: STRESSTEST
Krankheitsbedingt muss die Performance verschoben werden.
„Kollektive demokratische Ordnungen werden angegriffen, die ökologische Krise steht vor einem Kipppunkt, kapitalistische Systeme folgen Logiken der Ausbeutung. Wir befinden uns in einem konstanten STRESSTEST. Der performative Körper macht die Aspekte der Umgebung, in der wir leben, sichtbar. Was heißt Belastung im System? Welche Machtpraktiken entstehen in diesen herausfordernden Landschaften? Wie lange bleiben wir darin ‚funktionsfähig‘ und wann und wo zeichnen sich die ersten Schwachstellen ab? Where is the point of no return?“
“STRESSTEST” ist eine Kollaboration des Kunstraums DOCK 20 und dem Performance-Kollektiv Perrrformat (Zürich) mit den beiden Tänzerinnen und Choreografinnen Deva Schubert und Francesca Ferrari. Während einer einmonatigen Residency in Lustenau im Juli 2024 entwickelten die beiden ein Stück, das am 5. September erstmals im öffentlichen Raum zu sehen sein wird. Dass die beiden Performerinnen bewusst mit offenen und prozessualen Formaten arbeiten, die sich über lange Zeiträume und konkrete Orte weiterentwickeln dürfen, zeigen die In-progress Performance „Betray your tongue: Eruptions of an affect alien“, in der Ferrari dem Menschen und seine „verstummte“ Stimme thematisiert oder die mit dem „Young Choreographer Award 2024“ ausgezeichnete Arbeit „Glitch Choir“ von Deva Schubert. Darin verarbeitet Schubert mit ihrer Co-Performerin Chihiro Araki und Gast-Performerinnen (Francesca Ferrari u.a.) die kulturübergreifende und kollektive Praxis öffentlicher Trauerarbeit von Frauen.
Insofern setzen die Beiden in Lustenau erneut genau an jenem Punkt an, an dem Individuen, aber auch Gruppen ungehört bleiben und Stimmen und Gefühle strukturelle Unterdrückung erfahren. Es erscheint daher konsequent, dass der Park und die Außenfassade des Lustenauer Rathaus nach Begehungen vieler anderer Orte wie dem Natura-2000- Schutzgebiet „Gsieg-Obere Mähder’s“, dem Einkaufszentrum Kirchpark oder auch der Oberscheider Wasch- und Tanklandschaft als Szenerie für das performative Zwischenfazit gewählt wurde. Obwohl das Gebäude und die Umgebung des Rathauses für manche mit dem positiven Gefühl der Ordnung und Stabilität verbunden sein vermag, erzählt die, durch Metall und Glasoberflächen geprägte industrielle Architektur eine weitere Geschichte: Rationalität, Optimierung und Anpassungsdruck. Und Druck ist das Stichwort, den diesen wollen Schubert und Ferrari im Rahmen ihrer ersten gemeinsamen Stückentwicklung ausüben – als autoagressives Moment auf das Selbst aber auch auf die Umgebung.
Im Zentrum der Performance stehen ihre Körper und Stimmen, die sie einerseits einem Selbst-Stresstest unterziehen, andererseits strapazieren sie damit auch den strukturerhaltenden Ort selbst. Am Lustenauer Rathaus stressen Deva Schubert und Francesca Ferrari – in Hosenanzüge gekleidet und mit Sägeblättern zwischen den Zähnen bewaffnet – mit einem Hochdruckreiniger ihre eigenen Körper, ihre Brustkörbe und Stimmen. In diesen Akten des überreizten Selbsttests erscheinen sie als kraftvolle und gleichzeitig zerbrechliche Instanzen vor dem Hintergrund einer leistungsorientierten Gesellschaftsarchitektur. Dabei werden Fragen nach Funktionalität in Drucksituationen gestellt, aber auch Kippunkte sich selbst erhaltendender, auch ökologischer Systeme ausgelotet.
Text: Lukas Weithas
Foto: Miro Kuzmanovich
> INTERVIEW mit Deva Schubert und Francesca Ferrari